Die Aktien-Gesellschaft für Fabrikation von Eisenbahn-Material zu Görlitz liefert alle zum Bau und zur Ausrüstung von Eisenbahnfahrzeugen und anderen Transportmitteln erforderlichen Gegenstände nebst den dazu gehörigen Materialien, sowie Holz- und Metallkonstruktionen jeder Art.
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Nach dem gegenwärtigen Stande besitzt die Gesellschaft zwei Fabrikgrundstücke,
und zwar das alte Grundstück mit einem Flächeninhalt von 4,339
ha und die neuen Grundstücke mit einem flächeninhalt von 20,829
ha. Beide Grundstücke sind durch ein normalspuriges Gleis und durch
elektrische Kraftübertragung verbunden. Jedes Grundstück
hat eigene Wasserleitung.
Die Gesellschaft errichtete im Jahre 1871 eine eigene Betriebskrankenkasse.
Sie gewährt Ihren Mitgliedern freie ärztliche Behandlung,. freie
Arznei oder Kur- und Verpflegung, bei Erwerbsunfähigkeit Krankengeld,
für den Todesfall Sterbegeld.
Die Gesellschaft hat seit dem Jahre 1883 eine Pensionskasse, die sowohl
den Beamten wie den Arbeitern, die dienstunfähig geworden sind, die
Anwartschaft auf Ruhegehalt gewährt. Außerdem besteht eine Reihe
anderer Wohlfahrtseinrichtungen für die Beamten und Arbeiter.
Von den Erzeugnissen der Gesellschaft kommen in erster Linie in Betracht:
Salon-, Speise- und Schlafwagen, sowie Personen-, Post- und Gepäckwagen
aller Spurweiten, Luxus-Pferdewagen, Güterwagen aller Art und Spurweiten,
sowie Spezialwagen zum Transport von Spiritus, Säuren, Petroleum,
Milch, Butter, Fleisch und Fischen, ferner Rollböcke für Voll-
und Schmalspur, sowie elektrische Trieb- und Straßenbahnwagen. Mit
Rücksicht auf den zur Verfügung stehenden Raum soll nachstehend
nur die Beschreibung einiger einfacheren Wagen erfolgen, welche von der
Gesellschaft als Sonder- Erzeugnisse hergestellt werden.
I. Luxuspferdewagen.
Für die Beförderung von edlen Pferden genügen auf langen
Strecken die gewöhnlichen bedeckten Güter- und Großviehwagen
nicht. Es sind deshalb besondere Wagen für Luxuspferde erbaut worden,
die mit Einrichtungen ausgestattet sind,. die ein bequemes und sicheres
Verladen der Pferde ermöglichen, Verletzungen der Tiere verhüten
und eine sorgfältige Pflege während des Transportes zulassen.
Der Görlitzer Luxuspferdewagen ist dreiachsig mit Lenkachsen und
nach Art der bedeckten Güterwagen gebaut und ist zur möglichsten
Abkürzung der Reisezeit mit allen Einrichtungen ausgerüstet,
die zur Einstellung des Wagens in Schnellzüge von mehr als 80 km Fahrgeschwindigkeit
in der Stunde, sowie zur Einstellung in den internationalen Verkehr von
den Eisenbahnverwaltungen gefordert werden. Der Wagen besitzt hochgewölbtes
Dach und Lüftungsbau. An den Stirnwänden sind zwei Pferderäume
zur Aufnahme von 6 Pferden oder 4 Muttertieren mit Fohlen angeordnet. In
der Mitte des Wagens befindet sich ein Raum für die Wärter, für
Futtervorräte und Gerätschaften.
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II. Biertransportwagen.
Biertransportwagen erfordern eine rasche Beförderung und Schutz
gegen Temperaturschwankungen.
Es finden hierfür Wagen Verwendung, die mit isolierenden Umfassungswänden,
Eiskühlung und Heizung ausgerüstet sind. Die Temperatur im Wagen
soll dauernd 4 bis 10 Grad Celsius zeigen.
Der
Görlitzer Bierwagen ist zweiachsig, mit Lenkachsen und als bedeckter
Güterwagen gebaut. Es sind bei demselben alle Einrichtungen vorgesehen,
welche zur Einstellung des Wagens in Personenzüge von den Eisenbahnverwaltungen
gefordert werden. Der Wagen besitzt schlecht wärmeleitende, doppelt
ausgeführte Wandungen. Wenn der Wagen auf längeren Strecken verkehren
soll, werden die Wandungen auch dreifach hergestellt, oder deren Hohlräume
durch schlechte Wärmeleiter wie Korksteine usw. ausgefüllt.
In jeder Seitenwand sind zur Verladung Drehtüren vorgesehen. Diese
Türen sind wie die Seitenwände mit mehrfacher Verschalung und
die Türfalze mit Filzbelag dicht schließend hergestellt. Die
Türen sind mit Riegel- und Zollverschluß ausgestattet. An den
Stirnwänden befinden sich hochliegende Eisbehälter zur Kühlung
des Innenraumes im Sommer. Die Beschickung mit Eis erfolgt vom Wageninnern
aus.
Für eine stetige Ableitung des Schmelzwassers sind Ablaufrohre
vorgesehen. Für Transporte im Winter sind Heizeinrichtungen vorhanden,
und zwar Dampfheizung oder Preßkohlenheizung. Auf dem Fußboden
ist ein Sonderbelag aus Eichenholz, der bei Abnutzung durch die schweren
Gebinde leicht ausgewechselt werden kann.
III. Hohlglaswagen.
Das Ladegewicht von 15 000 kg der gewöhnlichen bedeckten Güterwagen
kann nicht für sämtliche Güter voll ausgenützt werden,
da der Laderaum nicht genügend groß ist. Aus diesem Grunde hat
sich der Bau von Spezialwagen, wie der Hohlglaswagen, erforderlich gemacht.
Der Görlitzer Hohlglaswagen ist zweiachsig bei größtmöglichster
Länge. gebaut. Er besitzt durch das stark gewölbte Dach einen
so großen Laderaum, daß das Ladegewicht von 15000 kg bei einer
Bodenfläche von 28,4 qm bei Hohlglasbeförderung voll ausgenützt
werden kann.
Für das Durchfahren von Gleiskrümmungen mit kleinem Halbmesser
ist der verhältnismäßig lange Wagen mit Lenkachsen ausgerüstet.
Das Dachgerippe ist der starken Wölbung wegen aus Eisen hergestellt.
Im übrigen entspricht die Bauart den Musterzeichnungen für bedeckte
Güterwagen der Königlich preußischen Staatseisenbahnen.
Zur Verladung der Güter befinden sich in der Mitte jeder Seitenwand
Schiebetüröffnungen.
In jeder Seitenwand sind mit Klappen verschließbare, zum Lüften
bzw. zum Verladen langer Gegenstände dienende Öffnungen.
IV. Fischwagen.
Zur Vermeidung der Gefahren, welchen lebende Fische bei Beförderung
in Fässern oder Kübeln durch Erschütterung, Mangel an Luft
oder durch zu hohe Temperaturen ausgesetzt sind, sind auf Eisenbahnlinien,
wo regelmäßig Fischsendungen vorkommen, Spezialwagen für,
die Beförderung lebender Fische eingestellt.
Der
Görlitzer Fischwagen ist dreiachsig, mit Lenkachsen und nach Art der
bedeckten Güterwagen mit hochgewölbtem Dach gebaut und zur Einstellung
in Personenzüge eingerichtet. Der Wagen besitzt einen oder zwei Fischräume
und einen Maschinenraum.
Der Fischraum enthält einen aus verzinktem Eisenblech hergestellten,
durch lose einsetzbare Querwände geteilten Wasserbehälter. Durch
die Querwände werden größere Schwankungen des Wassers vermieden.
Der Raum für Fische ist vom Maschinenraum aus zugänglich. Durch
das hochgewölbte Dach und die daran angebrachte Laufstange wird ein
Begehen der Fischbehälter auf Laufbrettern ermöglicht. In den
Wagenwänden sind über dem Wasserbehälter Klappen oder Türen
zum Ein- und Ausladen der Fische vorgesehen.
Der Maschinenraum ist unmittelbar von außen von einer Plattform
zugänglich und enthält außer einem Schlaflager für
den Begleiter einen Explosionsmotor von etwa 6 Pferdestärken zum Antrieb
einer Dynamomaschine für Lichterzeugung, einer Pumpe zur Zirkulation
und Erneuerung des Wassers und eines Luftkompressors. Mittels des Luftkompressors
wird Frischluft dem Wasser der Behälter zugeführt, damit die
Fische den zum Leben nötigen Sauerstoff erhalten.
V. Rollböcke für Schmalspur.
Schmalspurige Rollböcke sind Eisenbahnfahrzeuge für den Übergang
normalspuriger Fahrzeuge auf Schmalspurgleise.
Der Rollbock besteht aus einem kleinen zweiachsigen oder dreiachsigen
Drehgestell mit drehbarem Tragschemel. Je ein solcher ist zur Aufnahme
eines Radsatzes der normalspurigen Wagen bestimmt. Die zweiachsigen Rollböcke
gestatten das Durchfahren von Krümmungen bis zu 10 m Radius. Der 1'ragschemel
hat an seinen Enden Auflager, die entsprechend der Rundung des normalspurigen
Rades ausgearbeitet sind. Die Überladung der normalspurigen
Wagen geschieht wie folgt: Die Rollböcke stehen in einer Überladegrube
auf Schmalspurgleis. Am oberen Rande der Grube befindet sich normalspuriges
Gleis, das am Ende ein Gefälle 1 : 20 hat. Auf das normalspurige Gleis
werden die zu befördernden Wagen aufgeschoben. Die
Rollböcke werden unter die Wagen gebracht, und durch Festhaltegabeln
mit den Achsen verbunden. Alsdann werden die Rollböcke aus der Grube
gezogen, wobei die normalspurigen Wagen mit Hilfe der Festhaltegabeln mitgenommen
werden. Infolge des Gleisgefälles setzen sich die Hauptspurwagen auf
die Auflager des Tragschemels, werden dabei vom normalspurigen Gleise abgehoben
und so forttransportiert. An den Schemeln sind Vorrichtungen vorhanden,
die ein Herabgleiten des Wagens von den Rollböcken verhindern.
Die so verladenen normalspurigen Wagen können in schmalspurigen
Zügen eingestellt werden. Es eignet sich der Rollbockbetrieb für
Klein- und Industriebahnen, die infolge schwieriger Geländeverhältnisse
z.B. in Ortschaften mit scharfen Straßenkrümmungen keine Normalspurgleise
zulassen. Der Rollbockbetrieb ist deshalb seit Jahren bei Schmalspurbahnen
von 1000 bzw. 750 mm Spur eingeführt.
Der Görlitzer Rollbock hat eine besonders starke Konstruktion.
Das Gestell besteht im wesentlichen aus starkem Walzformeisen.
Der Tragschemel ist aus geschmiedetem Flußstahl hergestellt.
Seine Enden tragen die Auflager für die Spurkränze. An dem Tragschemel
sind auch die Gelenke für die umklappbaren Festhaltegabeln der Achswelle
des normalspurigen Wagens befestigt. Die Entfernung von Schienenoberkante
bis zur Auflagerung am Tragschemel kommt bei dem Görlitzer Rollbock
mit 140 bis 400 mm zur Ausführung.
Die
Entfernung von 140 mm kommt für Rollböcke von 750 mm Spur in
Frage, wenn bei dem aufgeladenen Wagen eine große Standfestigkeit
gegen Winddruck erforderlich ist.
Der Görlitzer Rollbock unterscheidet sich voll anderen besonders
durch die Sicherung der Festhaltegabeln.. Es entfällt durch Verlegung
der Drehpunkte dieser Gabeln an die beiden Endpunkte des Tragschemels,
sowie durch Wahl einer kräftigen und zuverlässigen Schraubenbefestigung
die Notwendigkeit einer besonderen und unmittelbaren Befestigung der Räder
des zu transportierenden Wagens am Tragschemel. Die Befestigung
der Gabeln an der Achswelle in verschiedenen Schrägstellungen ermöglicht,
daß vorhandene Bremsteile nicht hinderlich sind. Das Aufladen oder
Abladen von Normalspurwagen auf Görlitzer Rollböcke nimmt etwa
2 Minuten in Anspruch.
VI. Rollböcke für Normalspur.
Normalspurige Rollböcke dienen zum Transport normalspuriger Fahrzeuge
auf normalspurigen Gleisen mit sehr kleinen Krümmungen. Die
Konstruktion des Görlitzer normalspurigen Rollbockes und die Grube
zum Aufladen der Hauptbahnwagen ist im allgemeinen wie bei den schmalspurigen
Rollböcken. Die oberen Fahrschienen der Grube haben eine besondere
Form und sind in der Weise ausgebildet, daß Rollbockräder unter
diesen Schienen durchlaufen können. Die Entfernung der Auflagerung
am Tragschemel beträgt von Schienenoberkante 500 mm. Da der Rollbock
Normalspur hat, besitzt bei dieser Auflagerhöhe der aufgeladene Wagen
noch eine genügende Standfestigkeit.
Der Betrieb mit normalspurigen Rollböcken eignet sich besonders
für normalspurige Industrie- und Straßenbahnen, bei denen Anschlußgleise
mit Krümmungen bis zu 15 m in Frage kommen.
Quelle: Das deutsche Eisenbahnwesen
der Gegenwart - Band 2 - Verlag
von Reimar Hobbing in Berlin 1911 -
Seite 217 - 222
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